17.01.2008

Sind wir alle Gartenzwerge auf runden Wurzeltischen?



Es ist schwierig, den Zusammenhang zwischen Weltbild und Rationalität eines Menschen zu erläutern. Umso glücklicher darf man sich da schätzen zu erkennen, daß ein solcher Zusammenhang in den allermeisten Fällen gar nicht besteht. Das gilt etwa auch für jene politische Bewegung, welche die Medienagenturen „Globalisierungskritiker“ zu nennen sich angewöhnt haben. Außerhalb der Linken gelten solche kritischen Aktivitäten als „links“, während sie innerhalb bestimmter (sub-)linker Gruppierungen als „antiimperialistische“, „regressive“ oder (mein Votum:) gar keine Kapitalismuskritik bezeichnet werden. Zeichnet sich das Wort Kritik gegenüber bedeutungsähnlichen Begriffen wie Beschimpfung, Spott, Verleumdung, Ankacken, Kundgebung usw. nämlich durch eine Komponente der Rationalität und Argumentation aus, so trifft dies nicht notwendigerweise auf jene Menschen zu, die sich als „-kritiker“ bezeichnen. Was die „Globalisierungskritiker“ angeht, hätte ein überlegener Anteil von ihnen eher den Namen „Globalisierungsanpisser“ verdient, den ich daher auch im folgenden stattdessen verwenden werde.
Am 26.1. soll in Köln also eine globalisierungsanpisserische Großveranstaltung abgehalten werden, gemeinsam von sechzehn Gruppen organisiert, einer Teilmenge derjenigen Gruppen, die sich schon einmal im letzten März in Köln getroffen hatten: „zur Mobilisierung nach Heiligendamm gegen den G8-Gipfel“, wie es im Flyer in schönem Deutsch heißt. Weiter schreibt man bzw. mensch: „Gruppen aus diesem Spektruz [Sorry, vertippt] wollen nun an einem ganzen Tag intensiv miteinander diskutieren [also nicht an einem halben Tag, weil drei Stunden an einem halben Tag diskutieren ist nämlich nur halb so lang wie drei Stunden an einem ganzen] und ausloten, ob sich auch nach Heiligendamm vor Ort Ansätze gemeinsamer Aktion finden lassen [Nach Heiligendamm: „Alle mal herhören! Wir sammeln uns jetzt vor Ort und suchen Ansätze gemeinsamer Aktion! Hat auch jeder sein Lot mit?“]. Nicht unerwähnt bleiben soll, daß das erste Treffen dieses Spektruz' den vielsagenden Namen trug: „Markt der Möglichkeiten“. Was Schlechtes vermuten läßt: werden die Möglichkeiten im Preis weiter steigen? Ist den Globalisierun
gsanpissern etwa in ihrer winterlichen Blasenverkühltheit nichts anderes eingefallen als mit dem „Markt“ gegen den Feind zu wettern? Gibt's nicht vielleicht schon einen „Mediamarkt der Möglichkeiten“? Wenn nicht, könnten ja die Globalisierung und ihre Anpisser unter diesem Namen fusionieren und eine „Unsichtbare Hand des Marktes der Möglichkeiten“ zum Logo nehmen: eine gläserne Faust am angewinkelten Arm etwa, die dann als aufblasbares Event-Maskottchen zu Musik von BAP und Konstantin Wecker über dem Podium geschwenkt wird, während Oskar Lafontaines Sohn und der protestantische Pfarrer und Heiligendamm-Veteran XY aus Unterfranken eine silberne Bergsteigeruhr mit attac-Schriftzug, ein Kölsch-Glas in Form der Unsichtbaren Faust und zwei Taschenbuch-Gesamtausgaben von Marx und Martin Walser an langzeitarbeitslose Mediamarkt-Kunden verlosen (nachdem sie zwölf Plasmabildschirme an sabbernde PDS-Kader, einen blinden Gewerkschafter und den langzeitarbeitslosen Special Guest von der Hamas verschenkt haben).
Die sechzehn organisierenden Gruppen will ich hiermit im einzelnen gar nicht samt und sonders kritisiert bzw. angepißt haben (weil ich sie nämlich glücklicherweise gar nicht alle kenne) mit Ausnahme natürlich von attac und der Linkspartei, die sich ganz explizit von mir angepißt fühlen dürfen. Kritisiert – im Sinne von 'rezensiert' – haben möchte ich heute eigentlich nur das nicht zufälligerweise rot grundierte Titel
blatt ihres Flyers, das hier mitgepostet ist. Ich bitte den Leser in diesem Moment um genaue Betrachtung der Abbildung, da meine rücksichtslos profunde Besprechung eine ebensolche voraussetzen wird.
Da es mir eigentlich nur um das Bildchen geht, lasse ich die Schriftzüge lediglich mit dem Hinweis links liegen, daß von den drei Wörtern auf dem Tisch das Wort „Kritik“ vielleicht nicht bedeutungsloserweise das kleinste, der Allzweck-Wahlkampfreden-Slogan „Perspektiven“ dagegen das größte ist. „Kritik“ kann man ohne Brille vielleicht deshalb gar nicht lesen, damit es einen nicht abschreckt – vorausgesetzt es wird mit Gästen gerechnet, die das Wort „Kritik“ abschrecken könnte. Was das seltsame Bild angeht, handelt es sich beinahe um ein Rebus, so platt ist seine Bedeutung vermittelt. Nur jemand wie der Rebusdesigner in „Opas geilem Rätselheft“ schreckt außerhalb der Linkspartei (es sei denn, er ist Mitglied) nicht davor zurück, ein Wort wie 'entwurzelt' als lose Wurzelstrunken ins Bild zu übertragen. Der runde Tisch – klar, DDR, sog. friedliche Revolution usw. Kurz: der runde Tisch ist die herrschaftsfreie Gesellschaft, das bessere Leben. Statt aber wie gewöhnlich mit seinen Beinen tief in den heimischen Boden zu wuchern, so daß er auch beim Skatkloppen ab drei Promille nicht mehr so schwankt, ist dieser Tisch aus der deutschen Erde gerissen worden; man darf befürchten: infolge eines Heuschreckenschwärmeinfernos wie damals in Dresden bzw. Ägypten. Nun baumeln Wurzeln vom besseren Leben, das damit keines mehr ist - sieht ja auch scheiße aus – weil man auch ohne Herrschaft halt so seinen Halt braucht. Man kann den runden Tisch auch einfach als die Volksgemeinschaft deuten oder besser als die am Verhandlungstisch über ihre Entwurzelung verhandelnde entwurzelte Volksgemeinschaft. Sie hat endlich die Schnauze voll und wehrt sich, wie damals in der DDR (z.B.). Sie zwingt die Bodenauflockerungsmafia, also die Herrschenden, Landesfürsten und Investmentfondsmanager an ihren runden entwurzelten Tisch. Aber auweia! Was merkt da der protestantische Pfarrer und Verhandlungsführer des Volkes? Der Tisch kippt ja immer um! Da können sich gar nicht ransetzen: die Bodenauflockerungsmafia, die Herren Landesfürsten und Investmentfondmanager - und schon verschwinden sie unter kreischendem Gelächter mit ihren qualmenden Zigarren irgendwohin, wo man sich setzen kann. Zur nächsten Bank wahrscheinlich...

Die Wurzeln stellen natürlich die nährende Verbindung zum heimischen Erd-Reich dar, wovon getrennt zu werden gleichbedeutend mit Sterben ist, und betonen zugleich das Gemeinsame aller hier Gewachsenen. Schließlich muß man sich ja unter dem Erdreich A etwas vom Erdreich B Verschiedenes vorstellen können, um gerade für A sterben zu wollen bzw. müssen. Diese Vorstellung sucht man nun schon sehr lange, und nie hat man mehr erfinden können als das übliche folkloristische Sammelsurium von Dorftraditionen, Spießernippes, Kitsch und Kochrezepten. In Germanien begreift man unter nationaler Leitkultur zum Beispiel den in Bayern beliebten Wurzelsepp, den Knotenstock, das Alphorn, die Spreewaldgurke, die Wildlederhose, hausgemachte Mehlschwitze, die Kuckucksuhr, den Fußballverein, den Gamsbart, Tennissocken mit Bratensoßenspritzern, die freiwillige Feuerwehr, das Spanferkel, das Herrmannsdenkmal, Saumagen, Schützenfeste, Weltmeistertitel, den Obersalzberg, Schuhplattler, Kegelclubs, Stammtischwimpel, Burschenschaften, Kappensitzungen, Trachtentänze, Jägerzäune, Volkswagen, Blutwurstsuppe, Veteranentreffen und sonstige Ersatzverblödungen, deren endgültige Abschaffung nicht herbeizusehnen man nur von denjenigen Leuten verlangen kann, die unter 'entwurzelten Menschen' nur deshalb keinen evolutionären Fortschritt verstehen, weil ihre politische Vernunft noch im vegetabilischen Stadium verharrt. Das eben ganz bewußt nicht aufgezählte Requisit aus dem deutschen Leichenkeller – nein, sie waren keine Täter, sie haben in der Tat von nichts gewußt: die Gartenzwerge. Einer von ihnen steht auf dem runden Tisch und ballt die Faust. Das soll ich sein, du, wir alle. Zu dieser Veranstaltung der Globalisierungsanpisser soll gelockt werden wer sich mit einem faustballenden Gartenzwerg zu identifizieren vermag, der kleine, aufrechte deutsche Schrebergarten-Mensch. Das globalisierungsanpisserische deutsche Volk also. Soviel Publikum wie möglich, das hat der Markt dem „Markt der Möglichkeiten“ bereits beigebracht, erreicht man nur, wenn man soviel Publikum wie möglich anspricht. Um diese Zielvorgabe zu erreichen, empfehle ich passend zur Wurzelästhetik hemdbraune Hintergrundfarbe und im Vorprogramm für die älteren Herrrschaften eine herrzhafte Wurzelmusi.
Die Vorträge haben laut und allgemein verständlich zu sein.




1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

globalisierungsgegner anpissen - fällt das nicht schon unter behinderten-diskriminierung?

ich weiss, ich hab gut reden. :(

 
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