09.02.2009

Allegorien des Nichts - Zu Ingmar Bergmans "Das siebente Siegel"


Nicht die Handlung, nicht die Charaktere und nicht die Dialoge sind die große Qualität dieses Films, sondern seine visuelle und bildhafte Komposition. Er verleugnet nicht seine Inspirationsquelle aus den bildenden Künsten, den 'Totentanz', und nimmt so die allegorischen Versuche des Spätmittelalters auf, die unsichtbaren und unsicheren Mächte, die das menschliche Dasein (möglicherweise) entscheiden, in konkrete Rollen zu zwingen, mit denen sich spielen lässt wie mit Holzfiguren auf einem Brett. Gerade der spielerische Charakter derartiger Versuche selbst wird im Film akzentuiert: durch das Schachspiel gegen den Tod, das Theaterspiel der Schausteller, den mehrmals wiederkehrenden Gesang, das Lautenspiel und insbesondere durch den bühnenhaften Habitus dieses Films, der eben keine täuschende Illusion sein will, sondern die Inszenierung des Existentiellen. Ein Kunstwerk also, das seine notwendige und unüberwindliche Distanz zu seinem Gegenstand mitdarstellt, um nicht an ihr zu scheitern. Neben dem Gott suchenden Protagonisten, einem die kosmische Sinnlosigkeit witternden Kreuzritter, scheint nur der Künstler, im Film durch den Gaukler Jof allegorisiert, mit einem Blick in jene andere Welt begabt, in der der Tod selbst auftritt; wie wenn ihn zwar nicht der Verstand, aber ein Kostüm zu fassen vermöge, nicht der Ernst, aber das Spiel. Mit dieser kreativen Prämisse muss man diejenigen Szenen des Films ins Verhältnis setzen (so etwa die erste Begegnung mit dem Tod), die auf einen an Eindeutigkeit und storylastiges Heruntererzählen gewöhnten Konsumenten lächerlich wirken müssen durch ihren scheinbaren Ernst: doch wenn bei Bergman der Tod auftritt und sagt: „Deine Zeit ist gekommen“, dann ist das zwar keine Ironie, aber nichtsdestotrotz auch weder ernst noch lächerlich, sondern – in der panironischen Entertainmentära zunächst unverständlich – allegorisch gebrochen. Heißt das wiederum, dass Bergmans Film unmodern, talmichristlich und regressiv zu nennen wäre? Nein, denn die Allegorien eines Künstlers der Moderne überschreiten immer auch die Grenze zum Symbolischen, Skeptischen, Unbewussten und Vieldeutigen, das freilich vom modernen Zuschauer mitgeschaffen werden muss, dem nicht gezeigt werden kann was er zu sehen nicht fähig ist. In Bergmans existentialistisch ernst gemeinten Allegorien – ja, doch auch 'ernst', weil er nicht nur unterhalten will – ist aber das Unzureichende als spielerisches Element ebenso sichtbar wie die ihm komplementäre Modernität, die über die Zweidimensionalität der mittelalterlichen Ikonografie weit hinausweist, in traumhaften Visionen, die trotz ihrer Zitate nicht mehr mit heiligen Texten ausgedeutet werden können. Und genau dieses Versagen des weltdeutenden Textes, aus dem auch der Titel stammt, vor den Bildern der Welt, deren Diesseits und Jenseits, Konkretes und Abstraktes der Film auf seiner Bühne ordnend vereint, ist das eigentliche Thema dieses Leinwand-Stücks – ein moderneres, das Medium Film besser erklärendes und legitimierendes kann man sich schwerlich denken.


[Dieser Text ist kürzlich erschienen in der filmzentrale.]


 
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