26.01.2008

Vom schtzgrmmm zum pflgschmck


Dieser Eintrag hat sowenig mit Literatur zu tun wie meine Fellpantoffeln, obwohl bekanntlich auch Ernst Jandl – „schtzgrmmm“ – derartiges Schuhwerk zu tragen pflegte. Dieser Eintrag ist vielmehr einer der typischen Blogeinträge, die nicht einmal Leute, die Zeit haben, Blogs zu lesen, zu lesen die Zeit haben sollten. Eigentlich ist das Leben zu kurz für sowas – aber immer wenn man 'eigentlich' sagt, meint man ja eigentlich das Gegenteil, also lege ich jetzt los. Aber ich sage gleich, daß es traurig werden kann bzw., wie es in Splatterfilmrezensionen heißt: nichts für zart besaitete Gemüter!
Nicht daß man sich noch fragen würde, wieso man im Netz für jeden Besuch beim Gummibärchenhändler einen „Erfahrungsbericht schreiben“ kann oder die obligatorische „Bewertung“ abgeben. Das Verblüffende ist eher, daß es Menschen gibt, die diese Funktionen auch noch nutzen:
Heute wollen wir von Trolli - die Apple-Mallow mit fruchtiger Füllung vorstellen - Wir haben uns ja bei Lidl von Sugar Land-Apple Loops extra sour gekauft und darüber auch einen Bericht geschrieben. [...] Es kommt eine breiige Flüssigkeit heraus,hat aber nichts mit Apfelgeschmack zu tun.
Für einen Philantropen kann das durchaus traurig sein. Will man seine Hoffnung für die Welt auf eine Spezies gründen, die in ihrer Freizeit den geschmacklichen Wert kleiner, grüner Farbstoffringe abwägt? Aber es kommt noch schlimmer...
Seit ganz Germanien (ganz Germanien?) auf K. den Eisbären geschaut hat (ich kürze den Namen ab aus Liebe zu meinen damit schon genug geplagten LeserInnen), und zwar mit einer Hingebung und Liebe wie sonst nur auf weniger wuschelige Scheitel der Geschichte, blüht das Bärenbabybusiness. Inzwischen ist uns ein weiteres Tierchen dieser Art im Nürnberger Zoo geboren worden, und Freunde der dortigen Tierbetreiber haben flugs ein putziges Blögchen eingerichtet, in dem sie die großen und kleinen Leserchen und Bärchenbewerterchen mit einem pinken Gewichtszunahmegräphchen und natürlich vielen bunten Videöchen bei Laune halten.
Das Eisbär-Baby Flocke im Tiergarten Nürnberg entwickelt sich mehr und mehr zum kleinen Racker: „Auf unserer Waage hat sie so gezappelt, dass es unmöglich war ihr Gewicht abzulesen. Wir mussten und erst ein Gerät mit digitaler Anzeige besorgen“, berichtet Tierarzt Dr. Bernhard Neurohr. 3 850 Gramm brachte Flocke am heutigen Morgen auf die Waage. Die kleine Eisbärin werde immer aktiver und zerreiße ihren Pflegern bereits die Handschuhe.
Auf diese bewußtseinserweiternden Neuigkeiten erwidert Bernd Hegel, einer der Bärenblogleser: „Ja die kleinen Krallen können so langsam Schaden anrichten.“ Danke, Bernd. Grüße an alle, die dich kennen. Und Bernd hat noch mehr zu sagen...
Auf die nicht für zart Besaitete geeignete Meldung:
Flocke macht seinen Betreuern immernoch Sorgen denn es befindet sich Stroh im Stuhl der kleinen Eisbärendame. 'Offenbar hat sich Heu im Magen von Flocke zusammengeballt. Das kann zu einer gefährlichen Verstopfung führen',

reagiert Hegel positiv: „Wir wünschen Flocke Gute Besserung!“ Wir? Gibt es etwa mehr als einen Hegel? Aber es kommt noch trauriger...
Ein Herr namens Florian Andreas Konrad von S. (Name auf Anfrage geändert) riskiert seinen guten Namen, nachdem er von der dadaistischen Meldung „Flocke bleibt Flocke! Das Nürnberger Eisbärbaby hat nun einen Namen“ derart hingerissen war, daß er sie kommentieren mußte wie folgt:
Freut mich das die kleine einen namen hatt, wünsche allen pfleger des kleinen viel spaß.
lg flo
Flo? Ist das nicht herzlich? Flo grüßt Flocke, obwohl er ihr zehn Silben (und ein bißchen Deutsch) voraus hat. Welche Verbrüderungsergüsse! Ich hätte fast geweint, wenn es nicht doch auch ein winziges wenig lustig wäre...
Daß dieses süße Blog auch den Adel anspricht, ist kein Wunder, schließlich sind die Betreiber selbst derart in der Nobilitas zuhause, daß sie ihre Namensmeldung folgendermaßen auch noch ins Britische zu übertragen wissen. Deutsch:
Der Oberbürgermeister Ulrich Maly (SPD) hat soeben den Namen unseres Eisbärenbabys verkündet. Die Jury hat entschieden: Der Eisbärname bleibt Flocke. Unserer kleinen Flocke geht es gut und ich denke Sie wäre auch mit Ihrem Namen zufrieden.
Nicht deutsch:
Engl.: The Lord Mayor of the City of Nuremberg Ulrich Maly (SPD) just announced the name of our baby polar bear . The jury decided: The baby polar bear remains “Flocke” (Engl. Snowflake). Our small Flake is doing well and i think she is satisfied with her new name too.
Wenn der Uli von der SPD wüßte, daß man ihn vom Bürgermeister zum Lord gemacht hat, obwohl er sich durch Eisbärtaufen von seiner verantwortungsvollen Arbeit abhalten läßt, hätte er sicher auch schon ausgiebig die Kommentarfunktion von Adelsblogs wie diesem genutzt. Schade.
Bevor ich aber an dieser Stelle abbreche und meinen noch immer teilnehmenden LeserInnen die Herzensergießungen von Frau Birgit Altenbrunner-Martinek oder Mara Marlen Mosebach („Mein Papa meint, die kleine Eisbärin sollte Icy heißen oder Mara weil er meinen Namen immer noch so toll findet.“ - Liebe Mara Marlen, sag mal, ist dein Papa vielleicht Dichter? Und ist sein Lieblingsbuchstabe vielleicht M, was Romantitel wie „Der Mond und das Mädchen“ vermuten lassen?) vorenthalte, möchte ich darauf hinweisen, daß es selbst auf die rein organisatorische Meldung von gestern, die das neu ersonnene Gewichtszunahmegräphchen vorstellt, schon eine begeisterte Reaktion eines gewissen Sandro Sahara gibt, die ich nicht auch noch zitieren muß.
Am Ende ein kleiner Wermutstropfen. Wer bisher wie ich von soviel warmen Äußerungen und all der aufrichtigen Zärtlichkeit, in einfachen Worten einem kleinen Bären dargebracht, sich verzaubert fühlte, wird jetzt ein bißchen schlucken müssen. Gestern nämlich geben die Verantwortlichen der Bärchenpoesie unter der zu 90% falschen Überschrift „Wir spenden für Flockes Eisbären Verwandtschaft“ [sic] bekannt, daß sie das Blog bei Ebay „einstellen“, also verscherbeln werden zum Schleuderpreis von 2 000 Euro (bei Sofortkauf), wovon „10% an WWF Deutschland“ gingen. „Somit können wir auch etwas für Flockes Verwandtschaft dort hoch im Norden tun“, heißt es für naive Blogfreunde wie mich, während die potentiellen Ebaybieter in realistischerem Ton angesprochen werden. Die sollen nämlich natürlich nicht bieten, um hoch im Norden Gutes für Bären, sondern auf ihrem Konto Gutes aus Bären zu machen:
Die Möglichkeiten sind grenzenlos. (shop.nuernberg-eisbaer.de?) Es wurde viel SEO Vorarbeit geleistet. Desweiteren gibt es auch viele User die täglich direkt auf die Domain wiederkehren um neues über das Eisbärenbaby zu erfahren.
Übrigens, wenn man „Flocke“ als Suchwort bei Ebay in der Rubrik '.de Domains' eingibt, muß der Tierfreund mit ansehen, daß schon ein Dutzend Leute auf denselben sinistren Gedanken gekommen ist. O unputzige Welt!
Doch nicht jedem bleibt die Unputzigkeit der Welt so verborgen wie den Eisbärbabyblogstammlesern aus der Adelsschicht. Es gibt noch analytische Köpfe in Germanien und sowieso: „Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch.“ So erhebt am 25.Januar um 16:03 Uhr ein gewisser Georg Wilhelm Friedrich Hegel Einspruch gegen die heuchlerische Rechnung der Blogbetreiber mit den Worten:
Da bleibt aber bei einem Sofort-Kaufen-Preis von 2000 Euro noch einiges an Gewinn erhalten. Und ich dachte schon, ihr macht das hier aus reiner Liebe zum Eisbärbaby. Schade…
Man antwortet ihm damit, daß man schließlich auch als Blogger so seine Ausgaben habe im kostspieligen Ganzen, dem Hegel nicht minder als jedweder Blogger, Flocke, Flo, Mara Marlen Mosebach, Papa Martin und ich angehören. Und hat der Bärenhändler da nicht recht?
An dieser Stelle breche ich diesen Beitrag endlich und ganz bewußt mitten in der Mitte ab, um den Eindruck zu vermeiden, ich würde mir die Mühe machen, GANZE Beiträge über Eisbärbabies zu verfassen. Schließlich greifen so viele Blogs solche sogenannten aktuellen Themen auf, und ich will doch meinen Lesern das Gefühl vermitteln, was Besseres zu sein....
Deshalb am Ende bzw. in der Mitte noch schnell ein Gedicht, das mit dem Thema auch wirklich eigentlich überhaupt nichts zu tun hat:

trll pplmllw
mt frchtgr fllng
nichts
zu
tun
mt pflgschmck
a
pflgschmck
gschmck
schmck
sch!



24.01.2008

Die Gastkolumne! Teil 1: Marxismus für Schulleiter.



Unser heutiger Gastautor X1 will in seiner zwölften Internetveröffentlichung nicht namentlich genannt werden. Um uns dennoch ein Bild von seiner Persönlichkeit zumindest umrißhaft zu zeichnen, liegt seinem politischen Artikel ein steckbriefhaftes Selbstportrait bei. Ich werde es hier publizieren, obwohl ich kein Freund von Fragebogen bin. Also, hier ist es...


Geboren: 1976, zögerlich.

Eltern: Amnesie & Punkfrisur. Nunmehr Landräte.

Domänen: Klaustrophilie. Aufstieg zum Gipfel der Langsamkeit. Adverbien des Ortes ("allenthalben"!).

Todesstil: mit hagerem Kopf auf den Tisch gesackt, einen Espressotropfen am Brillenglas, eine kurze dunkle Strähne nachzitternd über der glatten Stirn, im Abgrund des Zweifels.

Häufigkeitswörter: Universum, logisch, weiß.

Unter seinen/ihren Vorfahren: ungenannte Bogenschützen & ein Wurzelleser.

Gefühlswelt: Bücher parallel zur Tischkante.


Der Inhaber des Blogs haftet nicht für die Aussagen seiner Gastautoren. Hier sind sie...



Ein Mann besitzt zwölf Fabriken in Samaria. Acht machen Verluste. Vier Gewinne, davon drei doppelt so hohe wie die Verluste der drei schwächsten Fabriken zusammen. Die fünf weniger schwachen Fabriken beschäftigen ausschließlich Frauen. Die drei schwächsten ausschließlich Männer. Die vier gewinnbringenden beschäftigen Frauen und Männer, davon die zwei besten im Verhältnis 50 zu 50, die übrigen beiden in der Mehrheit Frauen. Hergestellt wird Babynahrung. Es besteht der Verdacht, daß die in den Verlustfabriken angestellten Frauen stehlen. Sind nämlich alles arme Frauen, wegen des Verlusts. In den Gewinnfabriken sind die Löhne um ein Prozent pro vierzig Prozent Gewinn gegenüber dem Vorjahr höher. In den vegangenen siebenundzwanzig Jahren ergab sich daraus eine Lohnsteigerung von 4,8% (inflationsbereinigt). Im selben Zeitraum stieg der Preis der Babynahrung um 33,4%. Das Bevölkerungswachstum schrumpfte auf eine Wachstumsrate von 3,0%. Dafür haben sich 73% mehr Männer und 12% mehr Frauen sterilisieren lassen.


In welcher Fabrik sind die ArbeiterInnen am zufriedensten?



17.01.2008

Sind wir alle Gartenzwerge auf runden Wurzeltischen?



Es ist schwierig, den Zusammenhang zwischen Weltbild und Rationalität eines Menschen zu erläutern. Umso glücklicher darf man sich da schätzen zu erkennen, daß ein solcher Zusammenhang in den allermeisten Fällen gar nicht besteht. Das gilt etwa auch für jene politische Bewegung, welche die Medienagenturen „Globalisierungskritiker“ zu nennen sich angewöhnt haben. Außerhalb der Linken gelten solche kritischen Aktivitäten als „links“, während sie innerhalb bestimmter (sub-)linker Gruppierungen als „antiimperialistische“, „regressive“ oder (mein Votum:) gar keine Kapitalismuskritik bezeichnet werden. Zeichnet sich das Wort Kritik gegenüber bedeutungsähnlichen Begriffen wie Beschimpfung, Spott, Verleumdung, Ankacken, Kundgebung usw. nämlich durch eine Komponente der Rationalität und Argumentation aus, so trifft dies nicht notwendigerweise auf jene Menschen zu, die sich als „-kritiker“ bezeichnen. Was die „Globalisierungskritiker“ angeht, hätte ein überlegener Anteil von ihnen eher den Namen „Globalisierungsanpisser“ verdient, den ich daher auch im folgenden stattdessen verwenden werde.
Am 26.1. soll in Köln also eine globalisierungsanpisserische Großveranstaltung abgehalten werden, gemeinsam von sechzehn Gruppen organisiert, einer Teilmenge derjenigen Gruppen, die sich schon einmal im letzten März in Köln getroffen hatten: „zur Mobilisierung nach Heiligendamm gegen den G8-Gipfel“, wie es im Flyer in schönem Deutsch heißt. Weiter schreibt man bzw. mensch: „Gruppen aus diesem Spektruz [Sorry, vertippt] wollen nun an einem ganzen Tag intensiv miteinander diskutieren [also nicht an einem halben Tag, weil drei Stunden an einem halben Tag diskutieren ist nämlich nur halb so lang wie drei Stunden an einem ganzen] und ausloten, ob sich auch nach Heiligendamm vor Ort Ansätze gemeinsamer Aktion finden lassen [Nach Heiligendamm: „Alle mal herhören! Wir sammeln uns jetzt vor Ort und suchen Ansätze gemeinsamer Aktion! Hat auch jeder sein Lot mit?“]. Nicht unerwähnt bleiben soll, daß das erste Treffen dieses Spektruz' den vielsagenden Namen trug: „Markt der Möglichkeiten“. Was Schlechtes vermuten läßt: werden die Möglichkeiten im Preis weiter steigen? Ist den Globalisierun
gsanpissern etwa in ihrer winterlichen Blasenverkühltheit nichts anderes eingefallen als mit dem „Markt“ gegen den Feind zu wettern? Gibt's nicht vielleicht schon einen „Mediamarkt der Möglichkeiten“? Wenn nicht, könnten ja die Globalisierung und ihre Anpisser unter diesem Namen fusionieren und eine „Unsichtbare Hand des Marktes der Möglichkeiten“ zum Logo nehmen: eine gläserne Faust am angewinkelten Arm etwa, die dann als aufblasbares Event-Maskottchen zu Musik von BAP und Konstantin Wecker über dem Podium geschwenkt wird, während Oskar Lafontaines Sohn und der protestantische Pfarrer und Heiligendamm-Veteran XY aus Unterfranken eine silberne Bergsteigeruhr mit attac-Schriftzug, ein Kölsch-Glas in Form der Unsichtbaren Faust und zwei Taschenbuch-Gesamtausgaben von Marx und Martin Walser an langzeitarbeitslose Mediamarkt-Kunden verlosen (nachdem sie zwölf Plasmabildschirme an sabbernde PDS-Kader, einen blinden Gewerkschafter und den langzeitarbeitslosen Special Guest von der Hamas verschenkt haben).
Die sechzehn organisierenden Gruppen will ich hiermit im einzelnen gar nicht samt und sonders kritisiert bzw. angepißt haben (weil ich sie nämlich glücklicherweise gar nicht alle kenne) mit Ausnahme natürlich von attac und der Linkspartei, die sich ganz explizit von mir angepißt fühlen dürfen. Kritisiert – im Sinne von 'rezensiert' – haben möchte ich heute eigentlich nur das nicht zufälligerweise rot grundierte Titel
blatt ihres Flyers, das hier mitgepostet ist. Ich bitte den Leser in diesem Moment um genaue Betrachtung der Abbildung, da meine rücksichtslos profunde Besprechung eine ebensolche voraussetzen wird.
Da es mir eigentlich nur um das Bildchen geht, lasse ich die Schriftzüge lediglich mit dem Hinweis links liegen, daß von den drei Wörtern auf dem Tisch das Wort „Kritik“ vielleicht nicht bedeutungsloserweise das kleinste, der Allzweck-Wahlkampfreden-Slogan „Perspektiven“ dagegen das größte ist. „Kritik“ kann man ohne Brille vielleicht deshalb gar nicht lesen, damit es einen nicht abschreckt – vorausgesetzt es wird mit Gästen gerechnet, die das Wort „Kritik“ abschrecken könnte. Was das seltsame Bild angeht, handelt es sich beinahe um ein Rebus, so platt ist seine Bedeutung vermittelt. Nur jemand wie der Rebusdesigner in „Opas geilem Rätselheft“ schreckt außerhalb der Linkspartei (es sei denn, er ist Mitglied) nicht davor zurück, ein Wort wie 'entwurzelt' als lose Wurzelstrunken ins Bild zu übertragen. Der runde Tisch – klar, DDR, sog. friedliche Revolution usw. Kurz: der runde Tisch ist die herrschaftsfreie Gesellschaft, das bessere Leben. Statt aber wie gewöhnlich mit seinen Beinen tief in den heimischen Boden zu wuchern, so daß er auch beim Skatkloppen ab drei Promille nicht mehr so schwankt, ist dieser Tisch aus der deutschen Erde gerissen worden; man darf befürchten: infolge eines Heuschreckenschwärmeinfernos wie damals in Dresden bzw. Ägypten. Nun baumeln Wurzeln vom besseren Leben, das damit keines mehr ist - sieht ja auch scheiße aus – weil man auch ohne Herrschaft halt so seinen Halt braucht. Man kann den runden Tisch auch einfach als die Volksgemeinschaft deuten oder besser als die am Verhandlungstisch über ihre Entwurzelung verhandelnde entwurzelte Volksgemeinschaft. Sie hat endlich die Schnauze voll und wehrt sich, wie damals in der DDR (z.B.). Sie zwingt die Bodenauflockerungsmafia, also die Herrschenden, Landesfürsten und Investmentfondsmanager an ihren runden entwurzelten Tisch. Aber auweia! Was merkt da der protestantische Pfarrer und Verhandlungsführer des Volkes? Der Tisch kippt ja immer um! Da können sich gar nicht ransetzen: die Bodenauflockerungsmafia, die Herren Landesfürsten und Investmentfondmanager - und schon verschwinden sie unter kreischendem Gelächter mit ihren qualmenden Zigarren irgendwohin, wo man sich setzen kann. Zur nächsten Bank wahrscheinlich...

Die Wurzeln stellen natürlich die nährende Verbindung zum heimischen Erd-Reich dar, wovon getrennt zu werden gleichbedeutend mit Sterben ist, und betonen zugleich das Gemeinsame aller hier Gewachsenen. Schließlich muß man sich ja unter dem Erdreich A etwas vom Erdreich B Verschiedenes vorstellen können, um gerade für A sterben zu wollen bzw. müssen. Diese Vorstellung sucht man nun schon sehr lange, und nie hat man mehr erfinden können als das übliche folkloristische Sammelsurium von Dorftraditionen, Spießernippes, Kitsch und Kochrezepten. In Germanien begreift man unter nationaler Leitkultur zum Beispiel den in Bayern beliebten Wurzelsepp, den Knotenstock, das Alphorn, die Spreewaldgurke, die Wildlederhose, hausgemachte Mehlschwitze, die Kuckucksuhr, den Fußballverein, den Gamsbart, Tennissocken mit Bratensoßenspritzern, die freiwillige Feuerwehr, das Spanferkel, das Herrmannsdenkmal, Saumagen, Schützenfeste, Weltmeistertitel, den Obersalzberg, Schuhplattler, Kegelclubs, Stammtischwimpel, Burschenschaften, Kappensitzungen, Trachtentänze, Jägerzäune, Volkswagen, Blutwurstsuppe, Veteranentreffen und sonstige Ersatzverblödungen, deren endgültige Abschaffung nicht herbeizusehnen man nur von denjenigen Leuten verlangen kann, die unter 'entwurzelten Menschen' nur deshalb keinen evolutionären Fortschritt verstehen, weil ihre politische Vernunft noch im vegetabilischen Stadium verharrt. Das eben ganz bewußt nicht aufgezählte Requisit aus dem deutschen Leichenkeller – nein, sie waren keine Täter, sie haben in der Tat von nichts gewußt: die Gartenzwerge. Einer von ihnen steht auf dem runden Tisch und ballt die Faust. Das soll ich sein, du, wir alle. Zu dieser Veranstaltung der Globalisierungsanpisser soll gelockt werden wer sich mit einem faustballenden Gartenzwerg zu identifizieren vermag, der kleine, aufrechte deutsche Schrebergarten-Mensch. Das globalisierungsanpisserische deutsche Volk also. Soviel Publikum wie möglich, das hat der Markt dem „Markt der Möglichkeiten“ bereits beigebracht, erreicht man nur, wenn man soviel Publikum wie möglich anspricht. Um diese Zielvorgabe zu erreichen, empfehle ich passend zur Wurzelästhetik hemdbraune Hintergrundfarbe und im Vorprogramm für die älteren Herrrschaften eine herrzhafte Wurzelmusi.
Die Vorträge haben laut und allgemein verständlich zu sein.




11.01.2008

Ballade vom langen Leben des Herrmann Sambowski



Herrmann Sambowski war einer von den Männern, die geboren werden, um geboren zu werden. Sein Leben war lang. Sein Sarg war aus Eiche.


An einem lauen Herbsttag kam er in die Welt. Seine Mutter schrie nicht bei der Geburt. Und sein Vater sammelte Bierdeckel.


Herrmanns Entwicklung war folgende: er bekam Zähne, er wuchs, er kaute, er war erwachsen.


Da verliebte sich Herrmann. An einem sonnigen Sonntag saß er im Park. Es war wohl Mai. Und das Gefühl kam von unten her.


Herrmanns Mädchen hieß Theresia. Sie hatte also einen hübschen Namen.


In Herrmanns Hochzeitsnacht geschah etwas Ungewöhnliches: er war glücklich. Dann war er verheiratet.


Als Junge hatte Herrmann immer Papst werden wollen. Mit sechzehn dann Dschungelforscher. Und mit zwanzig war Herrmann Beamter.


Herrmann ging nicht gern zur Arbeit. Wie es ja üblich ist. Morgens sagte er seufzend zu seiner Frau: ich gehe nicht gern. Und dann ging er. (Wie es ja üblich ist.)


In einem Buch las Herrmann einmal, das Leben habe eigentlich gar keinen Sinn. Lachte er darüber? – Wir wissen es nicht.


Herrmann war nicht religiös. Er glaubte jedenfalls, daß er nicht gläubig war. Friedhöfe zum Beispiel interessierten ihn kaum. Nur Gartenarbeit mochte er.


Herrmanns Meinung von dieser Welt war geprägt von seinem Gehalt. Und das war nicht hoch.


Als Herrmann in Pension ging, freute er sich, frei zu sein. Er stand morgens früh auf, um lange frei zu sein. Aber am Abend war er schon früh vom Freisein müde und schlief gerne wieder ein.


Zwei Dutzend Jahre später starb nach langem Leben Herrmann Sambowski. Die Uhr stand fast auf drei. Es war eine gelbe Küchenuhr mit grünen Tupfern.


Draußen schien die Sonne. Dann wurde es dunkel.


Und dann schien sie wieder.




Inside Germany




Abb.4 Suchbild.

08.01.2008

Mehr als siebenundzwanzig Gründe, keine Gedichte mehr zu schreiben



Meine Mutter.


Der Blick des Buchhändlers wenn man seinen eigenen Lyrikband bestellt um die Verkaufszahlen in die Höhe zu treiben.


Auf dem Sterbebett liegen und zehn Großpoeme unvollendet in der Schublade!


Qual der Entscheidung, ob man wirklich den Nobelpreis ablehnen soll.


Ohne Nobelpreis zum Klassentreffen.


Mit Nobelpreis zum Urologen.


Sich beim Lesefinale des großen Ruhrpott-Lyrik-Wettbewerbs in eine begnadet unfähige Konkurrentin verlieben, ihretwegen freiwillig ausscheiden und mitanhören, wie sie ausgepfiffen wird.


Poeten machen keine Überstunden. Überstunden beleben aber die Wirtschaft. Und das schafft Arbeitsplätze.


Was wird aus der Weltrevolution?


In "Larry's Billardbude" immer sagen müssen: eigentlich wollt' ich Boxer werden...


Sich daran erinnern müssen, die Pornos hinter der Sophienausgabe zu entsorgen, bevor man stirbt und die Wohnung als Museum eingerichtet wird.


Zwischen rotbraunem Laub die zerfließende Abendsonne etc. – und dazu das einzige-noch-nie-gefundene Herbstadjektiv suchen!


Einmal alle siebzig Tag weinen müssen, um sich seine Sensibilität zu erhalten.


Die Alternative: Bäder mit Lebertran und Latschenkiefer.


Die kulturbeauftragten Schlipse Kreistagsfraktionsvizen und promovierten graumelierten Seitenscheitel in der ersten Reihe der von der Stadt freundlichst zur Verfügung gestellten einviertelvollen grüngetünchten Mehrzweckhalle wenn man weil alle anderen Teilnehmer den nicht erstatteten Fahrpreis zur deutschen Gemeinde an der Schwarzmeerküste gegen die Gewinnsumme aufrechnen konnten seinen ersten Literaturpreis gewonnen hat.


Schon mein Vater hat Bob Dylan niederdichten wollen. Und die Erde

hat sich einfach weitergedreht.


Befreundete Maschinenbauer, Autonome, Romanleser und andere Bildungspunks.


Befreundete Lyriker.


"Befreundete" Lyriker!


Befreundete "Lyriker"!!


Gedichte nicht für überflüssigen Egomüll halten zu dürfen.


Das schlechte Gewissen bei den wesentlichen Erheiterungen: Fernsehen, Gewalt, Narkose.


Potentielle Sätze wie: "Ich arbeite nachts", "Ich reproduziere die Collagenhaftigkeit der Postmoderne“ oder "Lyrik ist eine Art der Erkenntnis".


Potentielle Fragen wie: "Wann arbeiten Sie?", "Folgen Sie einem ästhetischen Programm?" oder "Was ist Lyrik?".


Reelle Absagen.


Durchfall vor der Lesung.


Lesungen.


Keine Lesungen.


Die Weisheit des Schweigens.





Inside Germany - Signs


Abb.3 Das deutsche Argument.

07.01.2008

Nächstbeste Maschine ins schillernde Leben - mit Happy-End



"Heißer Sommer in Kalifornien:
Richard, ein junger Journalist aus London, entdeckt in einer Bar auf Kreta die Amerikanerin Barbara und ist berauscht von ihrer Ausstrahlung. Kaum wieder zu Hause, nimmt er die nächstbeste Maschine nach Los Angeles, um die Frau seines Lebens wiederzusehen. Er trifft sie auf einer Party, als sie gerade die Gäste unterhält, nackt im Swimmingpool.
Richard macht noch einige überraschende Entdeckungen, bis er schließlich tief ins schillernde kalifornische Dolce vita eintaucht. Und das Leben spielt sich für ihn bald ab wie ein mitreißender Film - mit Happy-End."

(Klappentext des bei Rowohlt 1989 erschienen Romans "Planlos in Los Angeles" von Richard Rayner. Das Schmutzblatt ziert ein Foto des Autors, das ihn in Seidenjackett, weißem T-Shirt und Hornbrille mit dem linken Arm aufs Haupt einer Karyatide (Italien!) gestützt zeigt - nicht lächelnd. Daß er nicht lächelt, ist das eigentlich Arge an dem Foto und wohl auch an dem Buch: eigentlich sollte er keinen Grund haben, ernst zu bleiben. Warum er trotzdem ernst ist, erklärt ein Motto - "Die Perioden der Wollust waren ausgefüllt mit den niedrigsten Vergnügungen" aus "Verfall und Untergang des Römischen Reichs" von Edward Gibbon - und die Widmung: "Für Barbara, wo auch immer du sein magst.")



06.01.2008

Das Amen der Synapsen



Unsere Demokratie ist zauberhaft. Kein Hominidenkind hätte sich vor zweieinhalb Millionen Jahren vorstellen können, daß es so ein tierisches genetisches Potential in sich getragen hätte. Kondome! Kaufhäuser! Kabelfernsehen!
Aber man darf sich nicht darüber täuschen, daß selbst die tierischste politische Freiheit begrenzt ist. Ja, Brüder und Schwestern, die Natur hat uns nicht gleich geschaffen. Manche sind so frei geboren, daß ihnen die Welt nicht frei genug ist. So frei, daß ihnen die Horizonte zu nah beieinanderliegen. So frei geboren sind sie, daß sie geboren werden als Gefangene in dieser freien Welt.
Dazu ein Gleichnis: wer zum Scheißen auf der Welt ist, wird sich überall wohl fühlen, wo es schmerzfrei was zu fressen gibt. Wenig Auslauf wird benötigt. Die zur Förderung der Darmperistaltik nötige Bewegung kann durch Kniebeugen oder Laufen auf der Stelle exerziert werden. So lebte man im Paradies. Den Menschen dieses Schlags nennen wir den 'Menschen vom Typ A' oder 'Alpha-Menschen'. A wie Alpha. Affe. Android.
Aber seit Schlangen sich Bäumen nähern, sind immer wieder Menschen vom Teufel besessen. Der Teufel ist allgemein gesprochen der Oberbegriff für das, was nicht ist. Und Besessene sind Menschen, die eine Vorstellung haben von dem, was nicht ist. Neben ihren scheißenden Artgenossen verrichten sie die Notdurft ohne innere Erfüllung, achtlos und undankbar, heben den hochmütigen Blick zum Himmel und stellen sich so allerhand vor. Wie es wäre, wenn es da mehr gäbe als Exkrement auf diesem Erdenhaufen... Den Menschen dieses Typs nennen wir den 'Menschen vom Typ O' oder 'Omega-Menschen'. O wie Omega. Opium. Ontologie.
Und nun sprechen wir gemeinsam:
Der Alpha-Mensch ist der freie Mensch.
Der Omega-Mensch ist der unfreie Mensch.
Der Alpha-Mensch lebt von Kartoffeln.
Der Omega-Mensch nicht nur. Er hat Verdauungsschwierigkeiten.
Der Alpha-Mensch ist der Anfang.
Der Omega-Mensch ist das Ende.
So.
Ich danke Ihnen.
Denn frei geboren ist jeder: der nicht an der Kette zerrt.
Freiheit heißt die Kompatibilität des Weltbildes mit der Welt.
Und Unfreiheit existiert nicht in der Welt. Sondern im Weltbild.
Nicht in jedem persönlichen Erbgut ist diese tiefe Wahrheit enthalten. Denn offensichtlich wird immer wieder mal ein Jokus der Natur geboren, ein Äffchen des Unendlichen Zufalls, das nicht gemäß seiner Lebensauffassung leben kann. Marxisten. Müllmänner. Leute, die Zar werden wollen. Soziopathen mit ethischen Erbschäden.
Würde ich gemäß meiner Lebenseinstellung leben - dann unter der Erde, in einem leichtverweslichen Pappequader, möglichst in einer Sologruft ohne Rettungsstollen. Das Leben hat mir diesen Wunsch vom ersten Tag an versagt. Ich habe mich dem gefügt. Ich habe Nahrung zu mir genommen vom ersten Tag an. Ich habe sprechen und mich fortbewegen gelernt, von einem wunderlichen Tag zum nächsten. Ich habe schreiben gelernt.
Ja, ich lebe als Held. Ich tue täglich Dinge unter Umständen, unter denen diese Dinge unmöglich scheinen. Täglich beende ich aufs neue meinen Schlaf. Hebe den Telefonhörer ab. Lebe attentatabstinent.
Ich will nicht humoristisch klingen, aber an manchen Tagen kommt es mir schon wie Idealismus vor, sich überhaupt die Zähne zu putzen. Aber lassen wir das, das kennen Sie. Auch Sie ziehen wahrscheinlich den Moment vor dem Einschlafen dem Moment nach dem Aufwachen vor. Na sehen Sie! Und das trotz Orgasmusoption und Antidepressiva.






Der Jüngste Tag



nachdem der himmel wie

jeden morgen rosa geworden ist und

der wolfsmond unter den weiten städten liegt

verlassen alle menschen ihre warmen

betten und machen sich sauber

und fahren über die angenehmen straßen

(denn es ist ostern:)

zum picknick

und wintersport, nur

ein paar alte männer mit weißen bärten

passieren ein werkstor, und

einer sagt: schon gehört,

johannes? die hölle


geht an die börse



05.01.2008

Täter gleich Opfer




"The former Hamas leader Abdel Aziz Rantisi once told me that 'the question is not what the Germans did to the Jews, but what the Jews did to the Germans.' The Jews, he said, deserved their punishment."


(Jeffrey Goldberg in der New York Times am 6.1.2007 anläßlich der Rezension des Buchs "Jihad and Jew-Hatred" von Matthias Küntzel.)

Aus Gottes Tagebuch



Nein, ich werde es nicht bei den Einzellern belassen! Es beleidigt mich.


Jetzt noch das Rotwild und die Nashörner. Die dichte Bewölkung macht mir zu schaffen.


Nicht vergessen: Gottesanbeterin!


Wie sinnlos alles damals, ohne Materie... Es war so leicht zu denken, als es nichts außerhalb des Denkens gab: alles was war - war Gedanke, und alles Gedachte - wurde. Es gab keine Wege, keine Dauer, nur das Eine. Aber damit ist es vorbei! Ab jetzt wird alles nur gegen einen Widerstand existieren!
Ich bin wahnsinnig aufgeregt -


Oh, ich werde unzählige Philosophen erschaffen!


Der ‚Weltraum’: sehr gelungen, ungeheuer bequem.Genauso habe ich mir Bewegung vorgestellt. Das Gegenteil von Langeweile. Ich schwimme darin und vergesse vor Behagen immer wieder, die Zeit zu erschaffen.



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Abb.2 All there is.

04.01.2008

An einem kalten Frühlingstag



Wir sind Scherben, die nicht zusammenpassen. Weil es kein Ganzes gibt.


Der Glaube ist der kühlende Schatten, den unsere Kleinheit wirft.


Glauben ist wie Anwesenheit unter Abwesenden. Und umgekehrt.


Geist ist ein Präsent der Evolution an den Affen; Gott der Dank des Affen an die Evolution.


Würfelspiele sind tiefsinniger als Weltreligionen: man weiß nicht schon vorher, wie es ausgeht.


Die wahren Paradiese liegen diesseits der Dummheit. Dahinter beginnt das Nichts.


Es ist zu leicht, an Gott zu glauben.


Die ganze Welt des Sehnens – paßt in einen Sarg.



Das "Ende" des "Relativismus"


Ein epistemologischer Relativist wäre keiner, wenn er zu seiner Ansicht, daß zu jedem Satz auch sein Gegenteil wahr sein könne, das Gegenteil zuließe. Freilich ist er auch keiner, wenn er es nicht zuläßt.
Also gibt es keinen epistemologischen Relativismus.




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Abb.1 Ein Volk, eine Welt, ein Meister.

03.01.2008

Der Fall Nietzsche - Zur Genealogie des Massenmords



Nietzsche ist durch Erwähnungen, Zitate, Berufungen und Lobpreisungen längst bekannter als durch seine eigenen Aussagen. Daß es sich für die Wahrheit lohnt, nicht aber für den originalen Nietzsche, neben die eigene Statue gestellt zu werden, können viele nicht zufällige Zitate beweisen.

Aus Nietzsches Pamphlet gegen "die jüdisch-christliche Moral" (bei ihm stets als verhängnisvolle Einheit gedacht - wodurch einer seiner bekanntesten Buchtitel eine zweite Bedeutung gewinnt:) "Der Antichrist":

"das Christenthum ist einzig aus dem Boden zu verstehn, aus dem es gewachsen ist, - es ist n i c h t eine Gegenbewegung gegen den jüdischen Instinkt, es ist dessen Folgerichtigkeit selbst, ein Schluss weiter in dessen furchteinflössender Logik. (...) der psychologische Typus des Galiläers ist noch erkennbar, aber erst in seiner
vollständigen Entartung (die zugleich Verstümmelung und Überladung mit fremden Zügen ist -) hat er dazu dienen können, wozu er gebraucht worden ist, zum Typus eines E r l ö s e r s der Menschheit. - Die Juden sind das merkwürdigste Volk der Weltgeschichte, weil sie, vor die Frage von Sein und Nichtsein gestellt, mit einer vollkommen unheimlichen Bewusstheit das Sein u m j e d e n P r e i s vorgezogen haben: dieser Preis war die radikale F ä l s c h u n g aller Natur, aller Natürlichkeit, aller Realität, der ganzen inneren Welt so gut als der äusseren (...) Die Juden sind, ebendamit, das v e r h ä n g n i s v o l l s t e Volk der Weltgeschichte: in ihrer Nachwirkung haben sie die Menschheit dermaassen falsch gemacht, dass heute noch der Christ antijüdisch fühlen kann, ohne sich als die l e t z t e j ü d i s c h e C o s e q u e n z zu verstehn. (...)
Die décadence ist, für die im Juden- und Christenthum zur Macht verlangende Art von Mensch, eine p r i e s t e r l i c h e Art, nur M i t t e l: diese Art von Mensch hat ein Lebens-Interesse daran, die Menschheit k r a n k zu machen und die Begriffe 'gut' und 'böse', 'wahr' und 'falsch' in einen lebensgefährlichen und weltverleumderischen Sinn umzudrehn.-"

(KSA, Bd.6, S.190-193; Hervorhebungen vom Autor.)


02.01.2008

Die alte Ameise



Eine alte Ameise wanderte einmal nach getaner Arbeit über eine Lichtung hinweg, die weiß vom Mondlicht beschienen war. Das fiel bis auf die tiefsten Sohlen der Moostäler hinab, umfloss die hohen Wurzelbogen, und in der unendlichen, stets leise knisternden Nacht der Insekten glänzten die Taukugeln davon wie wunderbare silberne Früchte. Auf einer weichen Fichtennadel, die besonders duftete, ließ sich die alte Ameise nieder und trank vom Tau. Er war kühl und süßlich, gerade wie sie es mochte. Und der Wind zog langsam über sie hin, als ob er ihretwegen schliche.

So saß die alte Ameise eine gute Weile. Dann seufzte sie und sagte behutsam in die Luft: "Es ist doch trotz allem gut zu leben. Denn wenn die Arbeit getan ist, scheint der Mond für alle herab, wie wenn es gar keine Arbeit gäbe."



Die zwei Ameisen



Zwei Ameisen sahen nach getaner Arbeit dem Sonnenuntergang zu.

"Unsere Arbeit ist doch sehr schwer", seufzte die eine.

"Wie kommst du darauf?" fragte die andere.

"Nun", erwiderte die erste, "wenn ich mir überlege, wie langsam die Sonne durch den Taghimmel zieht. Daß man gar nicht sieht, wie sie sich bewegt. Und wie schnell sie dann untergeht..."

"Das stimmt", sagte die zweite Ameise.

"Wenn wir nachts arbeiten würden, könnte die Arbeit viel schneller gehen. Weil die Zeit dann schneller vergeht."

"Vielleicht. Aber wann sollen wir dann schlafen?"

"Das stimmt."

Nach einigen Tagen trafen sich die zwei Ameisen nach getaner Arbeit wieder und sahen dem Sonnenuntergang zu.

"Wir könnten doch", begann die eine sofort, "am Tag schlafen und nachts unsere Arbeit erledigen."

"Das wäre eine Möglichkeit", bestätigte die andere.

Und so versuchten sie es.

Nach einem halben Jahr saßen sie am Morgen zusammen unter einer Tanne. Der Mond ging gerade unter.

"Sieh nur", sagte die eine, "der Mond geht schon unter."

Die andere schwieg. Sie sah müde zum Mond auf und träumte ein wenig.

"Die ganze Nacht ist er durch den Himmel geschlichen, als ob er stünde", sagte wieder die erste, "und jetzt kann man ihm zusehen, wie er verschwindet."

"Das stimmt", seufzte die zweite Ameise.

"Wir sollten wirklich tags arbeiten, wenn es hell ist", sagte die andere verärgert. "Die Arbeit ist dann rasch erledigt, und man kann im Kühlen schlafen."

"Ja. Du hast recht", antwortete die zweite.

Und so versuchten sie es.



Minima Cogitata - Denkblüten bei Adorno



  • "Das Unbarbarische an Philosophie beruht in dem stillschweigenden Bewußtsein jenes Elements von Unverantwortlichkeit, der Seligkeit, die von der Flüchtigkeit des Gedankens stammt, der stets dem entrinnt, was er urteilt." (MM § 82)
  • "Daß in der Eisenbahn die Treppchen eingezogen werden, bedeutet dem Reisenden noch im teuersten Expreß, daß er den bündigen Anordnungen der Kompanie wie ein Gefangener zu gehorchen hat." (MM § 77)
  • "Noch was im Menschen von der Technik differiert, wird als eine Art von Lubrikation der Technik eingegliedert." (MM § 147)
  • "Wahr sind nur die Gedanken, die sich selber nicht verstehen." (MM § 122)
  • "Von sehr bösen Menschen kann man sich eigentlich gar nicht vorstellen, daß sie sterben." (MM § 122)
  • "Fremdwörter sind die Juden der Sprache." (MM § 72)
  • "Pantoffel - 'Schlappen', slippers - sind darauf berechnet, daß man ohne Hilfe der Hand mit den Füßen hineinschlüpft. Sie sind Denkmale des Hasses gegen das sich Bücken." (MM § 72)
  • "Der Stimme einer jeden Frau läßt am Telephon sich anhören, ob die Sprechende hübsch ist." (MM § 143)
  • "Ich bin ein Nashorn, bedeutet die Figur des Nashorns." (MM § 146)
  • "Daher wirken die allzu reich besetzten zoologischen Gärten großer europäischer Städte als Verfallsformen: mehr als zwei Elefanten, zwei Giraffen, ein Nilpferd sind von Übel." (MM § 74)

01.01.2008

Dunkle Anzüge



Kürzlich saß ich mit einem alten Freund mit schwarzen Haaren beim Pfefferminztee zusammen und erwiderte seinen ehrlich ratlosen Blick. Wir sprachen über unser beider Zukunft. Das heißt wir sprachen nicht, wir schwiegen darüber. Denn was es nicht gibt – darüber muß man schweigen. Nur ist es mir in zahllosen Momenten meines Lebens immer so ergangen, daß, noch bevor die Gefahr mir gegenüberstand, von der mich ein göttliches Lasso hätte hinwegfangen müssen, ich einen Ausweg gefunden hatte, um der Gefahr erst gar nicht zu begegnen. Wobei ich berichtigen muß, daß man nicht von Ausweg sprechen darf, sofern man einer Gefahr noch gar nicht begegnet ist, ja da kann man nicht einmal überhaupt von Gefahr sprechen, und wer davonkommt ohne Gefahr, der darf nicht mit demselben Recht bei Gefahr hoffen davonzukommen. Weshalb ich mir auf mein bisheriges Davonkommen gar nichts einzubilden brauche. Weil ich mich aber hier aus dramaturgischen Gründen als Glücksritter präsentieren muß, wollen wir ebendas einmal annehmen: daß schon in zahllosen fährnisumwitterten Stunden meines Lebens, geradezu mit dem letzten Glockenschlag, mit dem Knacken des brechenden Stabes, mit dem luftzersensenden Ausholen des Gerippes – eine Idee in mich fuhr, die augenblicklich diese grausame Welt in einen gelben, birnensüßen Garten verwandelte (von dessen Geäst die goldene Saat des Glücks ganz ohne Wind herniederstäubte)! Also: ich sagte:
"Das Wichtigste sind erstmal dunkle Anzüge. Wenn uns das Schicksal, bildlich gesprochen, auf die Straße schickt, kaufen wir uns zwei dunkle Anzüge, und das ist das Wichtigste."
"Das stimmt."
"In einer Ritterrüstung lassen sich nur ganz bestimmte Herausforderungen bewältigen. In einem dunklen Anzug aber gibt es kaum noch eine Aufgabe, die nicht bequem erledigt werden kann."
"Das wichtigste sind die Anzüge."
"Das wichtigste: die Anzüge."

Nicht du entscheidest. Nicht Gott entscheidet. Dein Anzug entscheidet.



 
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