Es gibt Autoren von solcher offenbaren Nichtigkeit, daß es schon ein Verriss ist, wenn man zu ihren Texten schweigt. Gegen sie zu polemisieren sollte nur in der Adventszeit erlaubt sein. Um die christlich-bürgerliche Kadaverharmonie durch eine partisanische Greueltat zu erschüttern, die unter anderen Umständen unmenschlich wäre... Auch der Einwand, manche hohlen Ziele seien gewissenhafter Polemik gar nicht wert, muß im folgenden mißachtet werden. Denn zum Anlaß für Nettes muß ja nicht nur Nettes, sondern kann und sollte Alles und Nichts werden. Und sowenig wie es 'unwertes Leben' gibt, gibt's eine unwerte Polemik.
Das findet auch der bestbezahlte deutsche Zeitungspraktikant und Sprachrowdy Benjamin von Stuckrad-Barre, dem wir hier erstens nicht weiter die Ehre antun wollen, ihn bei einem so komplexen Namen zu nennen, den auszuschreiben zweitens viel zuviel Zeit verschwendet, so daß wir ihn ab jetzt schlicht Benji nennen werden – ein Nämchen wie ausgedacht für einen professionell pubertierenden Literaturbetriebsbengel. Dem preiswerten Herrenmagazin „Cicero“ hat er irgendwann ein Interview gegeben, in dem sich der Junge ganz schön doll über diejenigen beschwert, bei denen er früher seine Gummibärchen verdient hat, und auch über alle anderen, zu denen ihm nichts einfällt. Darin, daß ihm nichts einfällt, auch zu sonst allem, besteht gewissermaßen seine Sendung: Benji zeigt all denen da draußen, denen auch nichts einfällt, daß selbst sie es schaffen können, dafür auch noch bezahlt zu werden. Damit hat er eine wichtige Position in der Öffentlichkeitsabteilung der kulturindustriellen Müllverbrennung inne.
Ihren Ausgang nahm die dialektische Karriere (das ist eine Karriere, die durch die Person dessen, der sie macht, widerlegt wird) Benjis von zufällig veröffentlichten Schülerstories über Pickel und Liebe mit der stilistischen Aura eines Beipackzettels für Abführmittel. Das meiste seiner Bravoprosa, die gern mit dem Wörtchen 'Pop' etikettiert wird, weil das besser aussieht als 'einlagiges Toilettenpapier' und viel besser paßt als 'Literatur' ohne Pop, ist vom solide-alltäglichen Einfallsreichtum, sagen wir 'mal, eines Mannes, der in seinen Timer unter Montag: „16.30 Zahnarzt“ schreibt. Also einfach, direkt, spontan und autobiografisch. Dorfjugendliche und solche, die es geblieben sind, stehn drauf. Wem Grass halt zu krass ist, der findet seinen knappen Geist in Benjis Sätzen wieder. Er ist der DJ des deutschen Kinderbuchs, und der Beat seiner Schreibe hält in jedem Moment die Amplitude zwischen Trotzphase und Klassenclown. Enden wird seine Karriere sicher dort, wo dialektische Karrieren eben enden: im Wühltisch, im Müll, im Fernsehen, in der Reha – also dort, wo sie schon vorher hauptsächlich stattfand.
In besagtem „Magazin für politische Kultur“ hat Benji fünf erwähnenswerte Sätze fallenlassen, die uns haben aufhorchen lassen und das Fadenkreuz der DWR-Gesinnungspartisanen in seine Richtung lenken mußten (keine Angst: wir schießen nur mit Tintenpatronen!). Diese Sätze haben ihrerseits die mit uns weder paktierende noch befreundete telegene Kommunistin Sahra Wagenknecht zum Ziel und lauten wie folgt:
Aber es geht auch noch schlimmer [als Andrea Nahles, DWR]: Vor kurzem saß ich im ICE von Berlin nach Hannover, in der ersten Klasse, und ein paar Sitze weiter saß Sahra Wagenknecht. Die hätte ich ganz gern in die zweite Klasse umverteilt.
Und am Ende des Gesprächs:
Gut fände ich es, wenn die NPD verboten würde, desgleichen Sahra Wagenknechts kommunistische Plattform. Wer sich offensiv gegen unser insgesamt hervorragendes System richtet, dem sollte das Rederecht entzogen werden und auch die Parteienfinanzierung. Im demokratischen Rahmen aber freue ich mich über jede Art von Zuspitzung, allein aus dramaturgischen Gründen. Aus Versehen führt das nämlich hin und wieder zu wahrhaftigen Momenten.
Den letzten Satz kann man zwar auf zwanzig Arten besser sagen, aber auch so stimmt er – sogar so weit, daß sein Sprecher, aus Versehen ihn bestätigend, es gar nicht merkt: Wahrheit ist von derart in die eigene Neurosen- und Ressentimentstruktur verstrickten Bewußtlosen immer nur „aus Versehen“ zu hören, als 'Wahrheit der Krankheit'. Und selbst ein gedankenleeres Haupt wie das unseres jungen Freundes aus der Papierindustrie kann interessant sein, sobald man eine diagnostische Perspektive zu ihm einnimmt, ihn also ernst nimmt als 'Fall'.
In seiner polemischen Zuspitzung offenbart der rhetorisch freche Lausejunge nämlich, welch gehorsames Kind er tatsächlich ist. Hinter dem narzisstisch-lässigen Gequengel steht ein ichloser Ausbund der Erzogenheit. Ein angepaßter Pastorensohn, der sogar von den ihn umgebenden Erwachsenen noch mehr Anpassung einfordert. Denn Ordnung ist für ihn schon schwer genug zu halten und zu überblicken, und wer das reale Puppenhaus auch noch gründlich ummodeln will, der (oder die) zieht sich den Haß des braven Knaben zu. Den Stellvertreter-Haß des kleinen Wächters, der auf das große Haus stolz ist, vor dem er frieren darf... Wieso dürfen Kommunistinnen überhaupt in der ersten Klasse fahren? braust es aus dem Pop-'Dandy' hervor. Sollte etwa seine ganze Arschkriecherei und Medien-Mitläuferei, all die an sich selbst exerzierten Demütigungen seines masochistischen Ego-Stummels umsonst gewesen sein, wenn man auch als radikale Nonkonformistin und aufrechter Mensch in die erste Klasse gelangen kann? Das darf nicht sein und muß verboten werden! – Hach, welche altbekannte Frische weht in der jungen deutschen Literatur, diesmal zur selbstlosen Verteidigung der verordneten Demokratie. Wer freilich den „demokratischen Rahmen“ so eng setzt, daß derjenigen umstandslos das Rederecht verweigert werden solle, die „unser insgesamt hervorragendes System“ negativ bewertet – eine Bewertung, deren polit-ökonomische Argumentation sich weit in der nie erlebbaren Zukunft von Benjis geistigem Entwicklungsstadium abspielt – und so die Arbeit des Verfassungsschutzes noch besser, ordentlicher machen will, der vertritt ganz offensichtlich eine autoritäre Auffassung von jenem („unserem“) System, mit dem er sich so gerne und vergeblich gleichzusetzen wünscht, die seinen demokratischen Rahmen verlassen hat. Nicht in die Richtung einer demokratischeren und freieren Welt natürlich – aber nein, wer käme denn in unserer hervorragenden Zeit auf die Idee? – sondern in die entgegengesetzte.
So wie es Hippiesöhne gibt, die schlechte Berufssoldaten werden, weil sie sonst künftig nichts Eigenes vorzuweisen fürchten, so gibt es auch die Pastorensprösse, die zu dollen Aufmischern werden wollen: da wird dann schonmal sonntags im Bett liegen geblieben, statt in die Kirche zu laufen, oder expreß ein Kaugummipapierchen aufs Pflaster fallen gelassen etc. Aber keine Angst, Vati, die Kirche lassen sie im Dorf. Und wer sie mal eben im Vorbeigehn anpissen will, dem sagen sie: hey Mann, muß das sein? Find ich nich' so superokeh, ehrlich. Und wer erst die Kirche abreißen und Papi arbeitslos machen will, dem zeigen sie, wes Beffchens Kind sie sind! Wie alle Rebellen, die Provokation statt Kritik üben, kehren sie spätestens dann in den Schoß des Althergebrachten zurück, wenn die Wirklichkeit und Folie ihrer Rebellion tatsächlich erschüttert zu werden droht. Bleibt diese Drohung aus, werden sie trotzdem ein Abbild ihrer Väter, die sie auf dieses Ziel hin erzogen haben, und folgen der ihnen vorgegebenen Entwicklung gemäß der väterlichen Strenge, für die das Aufbegehren nur ein Symptom ist. So daß am Ende alle Schäfchen und Dörfler ruhig aufatmen können, ihre Benjis tätscheln und wahrscheinlich Sachen sagen wie: ein Lausebengel, aber doch ein guter Junge. (Dazu paßt jener peinlich vieldeutige Akt, den Benji bei der Leipziger Buchmesse vorführte, als er Helmut Kohl um ein Autogramm bat, indem er vor dem CDU-Altkanzler auf die Knie fiel...)
Daß die jüngste deutsche Literatur durchaus mehr zu bieten hat als solche Schießbudenfiguren für die Heckenschützen der Polemik-Guerilla, darf am Ende unseres Adventsbeitrages nicht verschwiegen werden. Auch das Phänomen 'Pop', durch die US-Kultur des 20.Jahrhunderts längst ästhetisch geadelt, als Begriff in Deutschland aber vor allem ein Etikett für Nischen der Unfähigkeit und Post-Pubertät, ist selbst hierzulande seriöser als Romane übers Plattenhören. Das beweist zumindest Dietmar Dath, der ehemalige Spex-Chefredakteur, FAZ-Mitarbeiter, Romancier, Essayist und Wissenschaftsautor, nicht nur in seinem jüngsten Interview mit einer hausbacken provokanten „Welt-Online“. Hier kann man auch nachlesen, wie in Krisenzeiten nur über Kommunismus gesprochen werden kann, wenn man sich das Recht aufs eigene Gehirn nicht längst hat rauben oder abkaufen lassen.