22.05.2008

Π.Os Gedicht "Memo"



Der australische Lyriker Π.O (sprich: Pi O) ist leider selbst unter Lyrikinteressenten ziemlich unbekannt. Das liegt daran, daß er selbst nicht bekannt werden will und diese Absicht auch sehr zielstrebig verfolgt. Vor vielleicht zwei Jahren bin ich durch die Datenbank Lyrikline auf ihn aufmerksam geworden, wo man nicht nur sehr gute Gedichte in zahlreichen Originalsprachen und Übersetzungen lesen, sondern auch hören kann, meist vom Autor vorgetragen. Π.O – den ich rein zufällig, wohl wegen des seltsamen Namens angeklickt hatte – las das untenstehende Gedicht „Memo“ ich weiß nicht mehr wie, aber doch jedenfalls so, daß ich mir seinen Namen wie auch sein Gedicht gut gemerkt habe. Es war trocken, uneitel, konzentriert, präzise, polemisch und komisch und sehr ernst. Nicht der Dichter und seine Erfindungsgabe stehen im Mittelpunkt, sondern seine Beobachtungsgabe und das, was er beobachtet hat; beim Beobachten hat er etwas erkannt, und nun schreibt er ein Gedicht, das heißt er benutzt die genauestmögliche sprachliche Beschreibungsform, um diese Erkenntnis zu vermitteln.

Π.O imitiert in „Memo“ eine öffentliche Sprache, die uns längst vertraut ist, so daß wir gegen ihre Kälte schon abgestumpft sind, er imitiert und übertreibt sie dabei, er steigert ihre Expressivität, bis deutlich das hörbar wird, was wir in ihrer alltäglichen Gestalt nicht mehr wahrnehmen. Statt von Übertreibung müßte man eher von Enthüllung sprechen, denn sowohl diese Sprache selbst als auch ihr alltäglicher, abschleifender Gebrauch verhüllen etwas. Was Π.O imitiert und übersetzt ist die Sprache einer Gesellschaft, die er nur spiegelt als das, was sie ist: menschenfeindlich, die Sprache und die Gesellschaft, die sie spricht. Dieses Verfahren hat er nicht erfunden, aber in der zeitgenössischen Lyrik ist es schon eine Ausnahme, wenn überhaupt jemand so verfährt. Es zeigt das gute Gehör des Dichters – und zwar ein gutes Gehör nach außen, nicht nur nach innen (schließlich ist ein Magenblubbern leichter zu vernehmen als ein sehr weit entfernter Schrei z.B.).

Inzwischen hat Π.O dafür gesorgt, daß seine Gedichte auf Lyrikline gelöscht worden sind – ebenso wie auf einigen anderen, nicht vielen Seiten, wo man ihn lesen konnte. Aus diesem Grund werde ich sein Gedicht hier wieder neu ins Netz stellen, das bisher nur noch unter einer einzigen Webadresse googlebar war. Bedauernswert, daß man es selbst lesen muß – dankenswert, daß man es noch selbst lesen kann.




Memo



a Bomb threat

will inevitably come as a shock

If you receive one [Don't let on!]

Keep the caller talking;

Ask him [or

her!] when the bomb will explode; Where it is;

What it looks like;

And what will c a u s e it to explode;

Ask the caller

their name; And how old they are;

Take particular notice

of their accent: Israeli-German, Spanish-Russian;

And to their tone: Angry. Drunk.

Calm. Excited; If you happen to know

who they are . don't . let . on

Don't blurt-out: „Hey! That you? Bob!“

..jus' keep 'em talking; Listen to

background noise: a train whistle could be a vital clue!

When the caller

has finished: DON'T HANG UP!

Keep calm; And write in clear legible

script: WE'RE GOING TO BE BOMBED!!!!!!!!!!!

and then hand it to

your Supervisor [:He'll know

what to do]; If the ORDER to evacuate, is not given

open all the doors and windows [to lessen

the effect on property damage] and go back

to your desk, and keep

working.




16.05.2008

Dalai Lama nach Den Haag! Free Tibet from Tibet!



Eigentlich wollte ich einen Blogartikel über Bob Dylan schreiben, der vor einigen Wochen als erster Songwriter den Pulitzer-Preis erhalten hat. Dem momentan allgegenwärtigen Gelächel des Dalai Lama hilflos ausgesetzt, fand ich dann aber, daß es publizistisch unnötig wäre, jemanden zu loben, der seit Jahrzehnten gelobt wird – anstatt jemanden zu kritisieren, der seit Jahrzehnten gelobt wird. Dylan muß man nicht loben, weil er tatsächlich lobenswert ist. Dagegen sollte man nicht versäumen jemanden zu schmähen, der schmähenswert ist, erst recht nicht, wenn er allseits gelobt wird.

Der Dalai Lama ist das beste Bespiel, das mir gerade einfällt, für die Leichtigkeit der Lüge in der Mediengesellschaft. Man durchschaut Märchen-Wörter wie Pluralismus, Pressefreiheit, Informationszeitalter und (ach Gottchen:) Wissensgesellschaft unwiderruflich, wenn man sich einmal bewußt wird, unter welchem durch sämtlichste Medien wabernden Weih-Nebel aus Friede und Freude, Verehrung und Verklärung die längst zutage liegende historische Wirklichkeit Tibets und des Dalai Lama verschwindet. Selbst Menschen, die den Papst so einschätzen, wie er es verdient – nämlich als ein selbsterklärendes Diskussionstabu unter vernünftigen Menschen – gelingt es auf mystische Art, im geistlichen und weltlichen Oberhaupt Tibets und der tibetischen Buddhisten einen veritablen Gegensatz zum geistlichen und weltlichen Oberhaupt des Vatikans und der Katholiken zu erblicken. Beide sind engstirnige alte Männer – was? höre ich da schon den Zwischenruf, der Dalai Lama ist doch weise und tolerant und nicht engstirnig wie der Papst! – Wenn Weisheit und Toleranz bedeuten, daß statt vorehelichem Sex, Abtreibung und Homosexualität nur Abtreibung und Homosexualität verboten sind, dann stimmt das auch. Und wo wir schon beim Papst sind: dessen Inquisition, immerhin schon im 19. Jahrhundert mit einigen auslaufenden Autodafés zu Ende gebracht, ist so viel schrecklicher nicht gewesen als die Strafjustiz in der tibetischen Mönchsdiktatur, die bis 1950 bestand.

Zweihundertundfünfzig Peitschenhiebe, abgehackte Arme, abgeschnittene Ohren und Nasen, Augenausstechen, Herausreißen der Zunge, Hautabziehen bei lebendigem Leib und andere Strafen, die selbst den SS-Oberscharführer und bis heute hochgeschätzten Lama-Freund Heinrich Harrer abstießen, waren auch unter der Regentschaft des heutigen Friedensnobelpreisträgers noch bis in die 1940er Jahre normal. (Selbst Kannibalismus gab es im Alten Tibet: in einem Gericht namens 'Dudchi' werde „Menschenfleisch und Schlimmeres“ verarbeitet, schrieb der französische Tibetreisende Fernand Grenard um 1900.) Das Rechtssystem des „friedlichsten Volkes der Welt“ ist nämlich keine Umsetzung von Buddhas freundlichsten Ratschlägen, sondern geht auf die Strafjustiz Dschinghis Khans aus dem 13. Jahrhundert zurück. Mit anderen Worten: die vermeintlich in Tibet Staat gewordene Friedensreligion hat es nie gegeben; als Staat ist sie nur ein historisches und kein religiöses Gebilde mehr. Obwohl das Land sehr hoch liegt, schwebt es nämlich – das meine enthüllende These – nicht zwischen von Mönchen lieb zurechtgezupften Schäfchenwolken, wie sich das die Mehrheit denkt, sondern hat sich ebenso in Ausbeutung, Gewalt und Gefangenschaft gesuhlt wie bekannte und unbekannte andere Herrschaftssysteme auch. Man untertreibt also nicht, wenn man in anbetracht einer solchen politischen Vergangenheit den jetzigen Dalai Lama statt mit dem Papst lieber mit Saddam Hussein vergleicht – und mit 'vergleichen' meine ich 'zur Seite stellen' (überspitzt? ja, aber nicht falsch). Was sagt es über den Stand der Demokratie in Deutschland aus, daß sich statt dieser Parallele hierzulande längst die von "Bush = Hitler" eingebürgert hat? Darüber sollte niemand vor dem Einschlafen nachdenken...

Nachdem im März ein geistlicher und weltlicher Mob in Lhasa nichts Legitimeres veranstaltet hatte als ein Pogrom auf die chinesische Minderheit, die in dieser Stadt mit 17% schon ein Dreifaches des tibetischen Durchschnitts beträgt und gegen deren Ansiedlung der Dalai Lama mit wüsterer Rhetorik („kultureller Genozid“) hetzt als alle westlichen Neonaziführer gegen die Überfremdungs-Minderheiten ihrer Länder, ist nicht nur in Deutschland der antichinesische Ausnahmezustand eingetreten. Und natürlich sind es gerade Politiker wie Roland Koch, die mit Wirtschaftsdelegationsreisen nach China den heimischen Unternehmern ebenso wie den chinesischen Funktionären sanft den Hintern seifen, die bei dieser Gelegenheit ihre bigotten Humanitätsfloskeln aussondern. Die Menschen auf den Straßen aber – und tatsächlich gibt es ja protibetische Kundgebungen auf den Straßen, denselben, die Tag für Tag vom Niedriglohn-, Überstunden- und Praktikumsproletariat verstopft sein sollten – fordern: was eigentlich? Die Religionsfreiheit für Tibet? Die gibt es in China seit den 90er Jahren. Vielleicht das Rückkehrrecht für „Seine Heiligkeit“? Das ist längst ausgehandelt worden. Dann vielleicht finanzielle Unterstützung für die armen, übrigens autonomen Tibeter? Die ist seit den 80er Jahren stetig erhöht worden und beträgt inzwischen umgerechnet 100 Millionen Euro im Jahr; in den vergangenen 40 Jahren sind nach chinesischen Angaben umgerechnet 3,5 Milliarden Euro für die Unterstützung Tibets aufgewendet worden. – Und nein, ich werde jetzt nicht hinzufügen, daß das alles umgotteswillen bloß nicht den schrecklichen Unterdrückerstaat China entschuldigen soll usw. Weil ich bei meinen Lesern, wie bei allen anderen Lebenwesen, die imstande sind, eine Banane von hinten zu öffnen, also auch bei mir, eine halbwegs nüchterne Meinung zur „Volksrepublik China“ (wo, nebenbei, schätzungsweise 250.000 Menschen pro Jahr in „Umerziehungslagern“ zu Tode erzogen werden) voraussetze. – All diese Investitionen und Zugeständnisse haben Tibet nicht nennenswert verbessert, wie man überall nachlesen kann. Von allen chinesischen Provinzen und autonomen Gebieten, in denen ihrerseits teils desaströse Zustände herrschen, schneidet ausgerechnet das bestens unterstützte und autonome Tibet in fast allen Belangen regelmäßig am schlechtesten ab; egal ob es um Pro-Kopf-Einkommen, Lebenserwartung oder Alphabetisierung geht. Liegt das nun nur an China? Oder nicht doch auch am autonomen "Tibetertum"? Obwohl die tibetische Sprache inzwischen in den ersten Schuljahren unterrichtet wird, empfinden die Tibeter schon den dazu parallelen Mathematikunterricht als Unterdrückung ihrer Kultur.

Das mag mit der „kulturellen Identität“ eines „Volkes“ zusammenhängen, anders gesagt mit der ungebrochenen Verdummung, deren geistliches und weltliches Oberhaupt, der „Ozean der Weisheit“, seine politischen Entscheidungen aus Teigbällchen liest – ein seit Jahrhunderten gebräuchliches tibetisches Orakel.




 
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